Wut abbauen: 5 Schritte,
wie du Konflikte locker lösen kannst

VON Axel Maluschka
17. November 2015

Der 95-Kilo-Mann dir gegenüber will dir wehtun. Und er kann es.

Er trägt Boxhandschuhe. In seinem Blick liegt eine Art Verachtung, die dich schlucken lässt.

Gleich beginnt die Runde.

„Bereit?“, fragt dein Gegenüber mit schwerem russischem Akzent.

Du nickst, doch bist dir in Wahrheit nicht sicher. Wieso traust du dem Typen nicht? Wieso befürchtest du, er hält sich nicht an die Vereinbarung? Eine, in der es um deine Gesundheit geht!

Genauso erging es mir vor etwa 8 Jahren beim Kickbox-Training in Leverkusen. Am Ende der Einheit war Sparring angesagt. Zu mir kam ein russischstämmiger Kollege.

Ich stellte klar, dass ich gern Vollkontakt kämpfe. Jedoch bat ich ihn, zum Kopf nicht voll durchzuziehen. Zum Körper könne er gern so hart schlagen und treten, wie er wolle. Doch auf K. O. durch einen harten Kopftreffer hatte ich keine Lust. Ich war Mitte 30 und brauchte diese Form des Kampfes nicht mehr.

Der Kollege und ich legten los. Wir umtänzelten uns, tauschten Schlag- und Trittkombinationen aus. Plötzlich knallte eine harte Rechte gegen meinen Kopf.

„Hey!“, rief ich. „Wir hatten doch gesagt, zum Kopf nicht so hart!“

„Das nicht hart war“, grinste er.

„Etwas lockerer!“, bat ich.

Er nickte.

Kurz darauf: ein erneuter harter Haken zu meinem Kopf. Ich parierte mit Mühe und nur knapp.

Da packte mich die Wut. Wenn er es nicht anders will!

Ich täuschte einen Schlag zum Bauch an und zog einen brutalen Kopfhaken durch. Er traf voll.

Mein Trainingskollege ging zu Boden. Als er wieder zu sich kam und sein Blick klarer wurde, lag darin Überraschung und Anerkennung.

Ich half ihm hoch und fragte, ob er weitermachen wolle.

„Ja, sicher!“, war seine Antwort.

Seine Kopfschläge waren anschließend locker und gut zu verdauen.

Heute widersprüchliche Gefühle

Diese Geschichte erzählte ich nicht sehr oft, doch meist mit einem gewissen Stolz. Bis ich irgendwann darüber nachdachte und sich ein neues Gefühl in die Erinnerung mischte.

Scham.

Ich schämte mich, die Kontrolle über mich verloren zu haben. Dass die Wut mich beherrschte.

Ich schämte mich, dass ich mir damals nicht anders zu helfen gewusst hatte, als mit brutaler Gewalt.

Ich schämte mich, dass ich im Nachhinein noch stolz darauf war.

Heute erzähle ich die Geschichte immer noch – so wie im Moment. Doch ich offenbare auch, dass ich Stolz und Scham zugleich empfinde.

Stolz bin ich immer noch, weil ich dem unzuverlässigen und uneinsichtigen Trainingskollegen damals Grenzen aufgezeigt hatte und ihm mutig begegnet war.

Ich schäme mich jedoch für meinen kurzzeitigen Kontrollverlust. Ich war echt wütend auf den Kerl!

Was ich aus meiner Scham gelernt habe

Warum erzähle ich das?

Weil ich heute anders reagieren würde.

Und weil ich etwas für Situationen gelernt habe, die drohen zu eskalieren.

Also auch für Konflikte. Dazu gleich mehr.

Ich bin heute im Kampfsport-Sparring völlig anders als damals. So empfinde ich zumindest.

Okay, ich bin noch immer nicht so weit, dass ich mir selbst gar nichts mehr beweisen müsste. Klar will ich immer noch zeigen, dass ich ein harter Kerl bin. Dass ich einstecken und austeilen kann. Dass ich einen Kampf und den Kämpfer mir gegenüber jederzeit dominieren könnte.

Doch ich mache dies nicht mehr um jeden Preis. Und auf vollkommen anderem Weg als damals.

Heute geht es mir hauptsächlich darum, dass mein Sparrings- und Trainingspartner und ich lernen und dabei Spaß haben.

Ich lerne durch Experimentieren, Ausprobieren und das Ergebnis. Klappt eine Kombination, eine Finte, eine Technik?

Dabei bin ich jedoch locker und spielerisch. Und ich kann die Gefahren einschätzen und eindämmen.

Im Karate-Training führen wir so gut wie nie freies Sparring durch. Vielmehr definieren wir diese Trainingsteile als Kampfspiele. Meist gibt es dazu eine Aufgabenstellung wie z. B. einer der beiden Partner verwendet nur geradlinige Techniken.

So nehmen wir von Anfang an das Verkrampfte und die ungesunde Härte heraus. Wir minimieren das Risiko und bremsen Egos, die sich beweisen müssen, aus.

Was kannst du für deine Konflikte lernen?

Das Wichtigste bei Konflikten – wie auch beim Kampfsport-Training – ist, dass wir einander respektvoll begegnen. Dass wir den anderen nicht verletzen wollen und unverletzt bleiben.

Wenn Konflikte eskalieren oder im Kampf die Emotionen durchgehen, dann wird es gefährlich. Wie kannst du durch Übung deine eventuell aufkommende Wut abbauen? Wie dich und die Situation kontrollieren lernen?

Regel: Übe gefahrlos und spielerisch. Nur was du übst, kannst du im Ernstfall anwenden.

Durch die Übung gewöhnst du dich an die heraufziehende Gefahr. Du bleibst ruhig und gelassen.

Die schlechte Nachricht: Die Gewöhnung setzt erst im Lauf der Zeit ein.

Aber das ist dir sicher bewusst. Schließlich hast du dich auch mal gefragt, wie du das alles gleichzeitig schaffen sollst: lenken, bremsen, kuppeln, Gas geben, schalten, blinken, hupen, Verkehr beobachten, in die Rückspiegel schauen und dabei nicht ausrasten. Heute plauderst du beim Autofahren locker nebenbei oder pfeifst bei deiner Lieblingsmusik mit.

Du kannst dich an alles gewöhnen. Du musst es nur wollen. Und du musst dir die nötige Zeit geben.

Wut abbauen: Training für werdende Konfliktmeister

So empfehle ich dir für deine Konflikte: Übe das Diskutieren und das richtige Streiten in einer wohlgesonnenen Umgebung!

Suche dir Freunde oder nette Kollegen. Verabredet ein Rededuell zu einem kontroversen Thema. Dabei könnt ihr beispielsweise folgende Regeln vereinbaren:

  • Die Diskussion dauert genau 30 Minuten.
  • Es gibt einen Diskussionsleiter (Unparteiischen). Der achtet auf
    • etwa gleiche Redeanteile,
    • Emotionen,
    • sinnlose Wiederholungen,
    • Versuche zu verletzen

und schreitet entsprechend ein. Er kann zusammenfassen und sollte auf einen Konsens hinarbeiten.

  • Wenn sich jemand verletzt fühlt, sagt derjenige das sofort. Spätere Reklamationen gelten als verpasste Chance.
  • Verschärfte Variante zum Abhärten: gekonnte Angriffe sind gestattet. Dies kann bis hin zu persönlichen Beleidigungen gesteigert werden. Ziel ist es dabei, dass die Diskutanten Ruhe und Selbstbeherrschung bewahren.
  • Das Ganze ist ein Konflikt-SPIEL!

Ein Konflikt-Werkzeug für den Ernstfall

Doch was hilft dir, wenn du einen echten Konflikt auszutragen hast?

Auch wenn du im akuten Fall anders empfindest, mach dir folgendes immer wieder bewusst: Konflikte sind nichts Schlimmes. Erst die Eskalation tut weh und macht aus Konfliktbeteiligten Todfeinde.

Konflikte eskalieren, weil sich die Beteiligten nicht unter Kontrolle haben. Weil sie Marionetten ihrer Emotionen werden. Weil sie sich in Wut und Hass hineinsteigern.

Wenn du einen Konflikt aufziehen spürst, geht es demnach zuallererst darum, inne zu halten. Beobachte deine Emotionen! Lasse Wut nicht zu!

Wer schnell wütend wird, wenn er nicht bekommt, was er will, zeigt meiner Einschätzung nach charakterliche Defizite. Er ist so reif wie ein Fünfjähriger, der sich im Supermarkt auf den Boden wirft, weil er den Schokoriegel haben will.

Choleriker tragen soziopathische Züge in sich. Sie lassen ihre charakterliche Unreife an ihren Mitmenschen aus.

Willst du selbst als unreif wahrgenommen werden?

Wenn du Wut auf andere Menschen aufkommen spürst, wenn der Konflikt zu eskalieren droht, dann solltest du innehalten.

Konflikte sind vergleichbar mit Wettkämpfen. Es gibt begrenzende Regeln – in Konflikten den sozialen Rahmen. Und es geht um Pokale und Medaillen – in Konflikten um Bedürfnisse und Rangfolge.

Wenn du nicht gerade als Gladiator oder im Untergrund im Käfig kämpfst, geht es weder bei Wettkämpfen noch bei Konflikten um Leben und Tod. Das bildest du dir nur ein!

Ich empfehle dir folgende 5 Schritte:

1. Durchatmen

Atme bei Konflikten als erstes durch und mach dir bewusst: Du musst den anderen nicht vernichten, um glücklich zu werden. Im Gegenteil!

Richtig durchatmen bedeutet, dass du dich auf langsames und kontrolliertes Ausatmen konzentrierst. Dein Körper atmet automatisch ein, daraus kannst du dich verlassen.

Schließe am besten die Augen. Atme dreimal langsam aus. Zähle beim Ausatmen langsam bis 5.

2. In die Beobachterrolle gehen

Neigst du zu eher aggressiven Reaktionen, wiederstehe deinem Impuls loszustürmen.

Neigst du zu Flucht, bleibe stehen und stelle dich dem Angreifer.

Jedoch in beiden Fällen auf passive Art. Begib dich in die Rolle des Beobachters. Betrachte deine Gefühlswelt und euch Konfliktbeteiligte wie einen Kinofilm. So entfernst du dich von deiner aufziehenden Wut und kannst sie im nächsten Schritt thematisieren.

„Ich spüre, dass ich gerade wütend werde.“

Das kannst du sagen. Das wirkt souverän.

Wichtig ist dabei, dass du dich auf dich selbst beziehst, nicht auf den anderen. Unterlasse alles, was den anderen wütend(er) machen könnte. (FALSCH: „Du machst mich wütend.“)

3. Disput verschieben

„Ich würde mich gern erst einmal wieder beruhigen, bevor wir ernsthaft über das Thema reden.“

Du brichst dir keinen Zacken aus der Krone, wenn du um ein Aufschieben der entscheidenden Diskussion bittest.

Im besten Fall geht der andere darauf ein, beruhigt sich auch selbst wieder und ihr sprecht dann weiter, wenn ihr beide etwas abgekühlt seid.

Doch was machst du, wenn der anderen dich nach deiner Bitte angreift? („Bist du etwa feige?“)

Bei einem Angriff ist es deine größte Herausforderung, mutig und ruhig zu bleiben. Denn Ziel des Angreifers ist es, dich einzuschüchtern. Lass dich von der Aggression nicht anstecken.

Probiere einmal aus, körperlich zu reagieren, indem du dich aus der direkten Kampflinie (die Verbindung zwischen dir und dem Angreifer) herausbegibst. Mach einen kleinen Schritt zur Seite und drehe dich zum  Angreifer. Er ist für einen Moment verwirrt und muss sich neu orientieren.

Während er dies tut, sagst du möglichst ruhig: „Ich möchte keinen Schlagabtausch, wenn ich aufgebracht bin. Das endet nicht gut.“

So kannst du dem Angreifer tatsächlich den Wind aus den Segeln nehmen.

Wichtig ist, dass du ihn nicht provozierst. Denn das schiebt die Wutspirale nur weiter an. Übrigens auch bei dir.

4. Pause nutzen – Relationen und Prioritäten klären

Nun solltest du – am besten schriftlich – die einzelnen Aspekte des Konfliktgegenstands durchgehen. Schreibe auf, um was genau es geht. Ordne danach die Wichtigkeit zu und frage dann nach dem Grund.

Ein Beispiel:

Das ist mir etwa vor 15 Jahren tatsächlich passiert. Ich arbeitete in einem jungen Unternehmen im Bereich Vertrieb. Mein Chef, Geschäftsführer und Inhaber, und ich hatten kein gutes Verhältnis.

Eines Tages schaukelten wir uns erneut auf. Er war eine Woche im Urlaub gewesen und hatte mir währenddessen einige Vertriebsaufgaben übertragen.

Ich kann mich, ehrlich gesagt, nicht mehr an alle Details unserer Auseinandersetzung erinnern. Nur noch an die Umstände. Es ging letztlich darum, dass ich in den Augen des Chefs einen kleinen Fehler gemacht hatte, der ihm laut Kontaktdokumentation selbst auch schon unterlaufen war.

Auf meinen Hinweis hin, dass der Fehler dann wohl nicht so schlimm sein könnte, fuhr der Chef hoch und sagte, es sei etwas anderes, wenn er einen Fehler machte oder ich. Dafür sei er der Chef.

Ein Wort ergab das andere, am Ende brüllten wir uns beide an.

Wie hätte ich schlauer agieren und reagieren können?

Das Detail des Disputs, an das ich mich heute nicht mehr erinnere, erfinde ich in der folgenden Aufstellung:

Priorität Skala 1-10 (1 = völlig unwichtig, 10 = Leben & Tod) Gründe: Warum dieser Aspekt? Was steckt dahinter? Welches Bedürfnis?

Leider hatte ich das Konflikt-Werkzeug damals noch nicht entwickelt. Sonst hätte ich meine Wut abbauen, mich kontrollieren und den Konflikt günstiger lösen können.

In der Realität waren mein Chef und ich verärgert übereinander aus dem Streit gegangen. Unser Verhältnis hatte sich weiter verschlechtert. Am Ende war ich bei einer dramatischen Unternehmenslage der erste, der entlassen wurde.

5. Diskussion

Nachdem du alle Teilaspekte, Prioritäten und (dahinter stehende) Gründe für dich geklärt hast, kannst und solltest du klar kommunizieren, was dir warum wichtig ist. Beachte dabei:

  • Sei ehrlich und authentisch!
  • Steh zu deinen Bedürfnissen!
  • Respektiere die Bedürfnisse deines Gegenübers! Er hat dasselbe Recht darauf wie du.
  • Strebe einen Konsens an. Im besten Fall Kooperation.

Im oben aufgeführten Beispiel hätte ich meinen Ärger zunächst runterschlucken und meine Wut kontrollieren sollen. Ich hätte meine Aufstellung gemacht und Klarheit gewonnen, was mir wirklich wichtig ist. Und ich hätte herausgearbeitet, was der Chef und ich beide wollten.

Wir wollten beide Respekt. Und den fühlte ich nicht. Und der Chef auch nicht. Für ihn hieß Respekt, dass ich seine Anweisungen exakt befolge. Mir jedoch war (und ist) das Ziel wichtig, und nicht der exakte Weg.

Doch bei den Zielen lagen unsere Gemeinsamkeiten. Wir wollten beide:

  • Einen Interessenten zum Kunden zu machen.
  • Umsatz zu generieren.
  • Der Firma zum Wachstum zu verhelfen.

Darauf hätten wir uns damals sicher einigen können. Und beim Weg hätten wir einen Konsens finden können. So hätten wir den hässlichen Streit vermieden, an einem Strang gezogen und gemeinsam die Firmenziele verfolgt.

Wut abbauen akut

Und wie hätte ich im ganz akuten Fall beim Kickboxen besser reagieren können? Schließlich konnte ich den Sparringskampf nicht einfach abbrechen, um mal eine Liste aufzuschreiben…

Wobei der Abbruch eine Option gewesen wäre. In den Augen meines Trainingskollegen hätte ich dann zwar als Pussy gegolten, doch das hätte mir egal sein können.

Heute reagieren die Trainingspartner generell anders, wenn ich beispielsweise weniger Härte bei Schlägen und Tritten erbitte. Sie respektieren dies meist zügig.

Vielleicht liegt das an meiner Gürtelfarbe oder dass ich die Gewissheit ausstrahle, die Härte jederzeit erwidern und überbieten zu können. (Was auch nicht immer stimmt. Aber das weiß ja keiner.)

Würde mir ähnliches wie damals in Leverkusen beispielsweise auf einem Lehrgang erneut passieren, würde ich mich zwingen, lockerer und spielerischer zu werden. Ich könnte beispielsweise beginne, Bruce-Lee-Geräusche zu machen und meinen Trainingspartner mit harten Low-Kicks einzudecken. (Low-Kicks sind Tritte auf den Oberschenkel. Sie sehen unspektakulär aus, sind aber sehr schmerzhaft und können schnell zum K. O. führen. Laut meinen heutigen Trainingskollegen kann ich diesen Tritt recht gut.) Low-Kicks  gefährden den Kopf des Partners nicht, erzeugen aber jede Menge Verblüffung und Respekt.

Fazit

Wenn du im Konfliktfall Wut aufkommen spürst, ist dies der erste Schritt zur Eskalation und in Richtung Schmerz. Wenn du dich der Wut hingibst, bist du nicht reifer als ein Fünfjähriger.

Musst du akut Wut abbauen, atme durch und bemühe sich, um spielerische Lockerheit. Meist kannst du folgende 5 Schritte gehen, um den Konflikt locker zu lösen:

  1. Durchatmen
  2. In die Beobachterrolle gehen: eigene Wut thematisieren
  3. Disput verschieben
  4. Aspekte, Prioritäten und Gründe klären – Relativieren des Konflikts
  5. Diskussion

Übe dich im kultivierten Streit, indem du regelmäßig Konflikt-Spiele mit festen Regeln veranstaltest. Nur durch Übung bereitest du dich auf den Ernstfall vor.

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