Wann werden Träume zu Realität?

VON Axel Maluschka
09. Juli 2012

Können Sie diesen Spruch auch nicht mehr hören oder lesen?

„Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum!“

Wenn dieser Text beispielsweise in einem Internetprofil als Motto steht, beschleicht mich oft das Gefühl, dass der Nutzer nicht weiter weg von seinem Traum leben könnte. Oder auch, dass er gar keinen hat und nur davon träumt, einen Traum zu haben.

Dennoch träumen wir Menschen jeden Tag und jeder Nacht. Und jeder erfolgreichen Unternehmung ging eine Vision voraus. So stelle ich heute die Frage, was einen tölpelhaften Tagträumer von einem erfolgreichen Visionär unterscheidet.

Da ich immer für möglichst klare Kommunikation bin, beginne ich mit einer Begriffsklärung und schließe mit dem Versuch, die Frage des Titels zu beantworten.

Was ist der Unterschied zwischen Traum und Vision? Und gibt es da noch mehr?

Zur letzten Frage: Ja, gibt es. Das Ziel ordne ich in dieser Liste mit ein. Traum – Vision – Ziel. (Dies war übrigens der Slogan auf meiner ersten Visitenkarte, nachdem ich meine Abschlussprüfung zum Business Coach bestanden hatte.)

Der Traum


Er ist Ausdruck einer unerfüllten Bedürfnisses. Wir alle haben Bedürfnisse in verschiedenen Ausprägungen.

Dabei einen uns Grundbedürfnisse wie das Stillen von Hunger, Durst, sexuellem Verlangen, das Anbahnen und Erleben sozialer Kontakte und der Wunsch, geschützt und trocken zu schlafen. Wir wollen zu einer Gruppe gehören und sehen uns nach Sicherheit, Aufmerksamkeit und Anerkennung. Und letztlich suchen wir nach Freiheit, Entfaltung und Selbstverwirklichung. Soweit sagt dies sinngemäß auch das Modell der Maslow‘schen Bedürfnispyramide.

Beinahe jeder Mensch hat unerfüllte Bedürfnisse, die sich durch Träume bemerkbar machen. Der Start-up-Unternehmer träumt vom nächsten Meilenstein der Umsatzentwicklung; der Marathonläufer von einer Zeit unter 4 Stunden; die junge Mutter von einem durchschlafenden Baby und der Schüler von einem akzeptablen Zeugnis, möglichst anstrengungslos erreicht.

Genau genommen ist jeder Traum eine Art Vorstellung geronnenen Gefühls. Denn letztlich erhoffen wir uns von der konkreten geträumten Realität ein bestimmtes Lebensgefühl, das wir im Jetzt vermissen. So hofft der Unternehmer in Wahrheit womöglich auf (Gestaltungs)Freiheit oder Status; der Läufer sucht die Anerkennung, die Mutter Ruhe und der Schüler als junger noch diffus empfindender Mensch von allem etwas.

Die Vision


Aus einem Traum wird meinem Verständnis nach eine Vision, wenn er den inneren Zensor überwunden hat und wir zu ihm stehen. Der innere Zensor ist der Wächter in uns, der uns ständig ungefragt sagt, was wir denken, tun und lassen sollten. Seine Waffen sind die Glaubenssätze. Der Zensor hat die wichtige Funktion, dass wir uns zugehörig fühlen können. Wer seinem Zensor ständig den Mund verbietet, redet aus Sicht der Anderen verrücktes Zeug, spinnt permanent rum, verletzt und grenzt sich letztlich aus.

Der Zensor sorgt auf anderen Seite dafür, dass wir klein bleiben, uns anpassen, wir bloß nicht anecken. Jeder muss für sich selbst entscheiden, wie viel Macht er seiner inneren Instanz Zensor gibt. Fakt ist: Rundgelutschte Persönlichkeiten sind keine mehr und führen seltener ein wahrlich gelungenes Leben.

Wenn ich also meinen Traum (mit)teile, dann ist er zur Vision geworden. Wenn ich sage, dass ich die Vision erreichen will, dass sie meine künftige Realität sein wird, dann hat sie das Nebulöse des Traums abgestreift und wurde konkret. Die Vision fühlt sich für mich kraftvoller an als der Traum. Und näher an der Realität.

Schön finde ich auch die Begriffsdefinition von Hermann Scherer:

Eine Vision ist ein Luftschloss plus Handlungsaufforderung.

Für mich beinhaltet allerdings letzteres erst das konkrete Ziel.

Das Ziel


Mir gefällt eine Feststellung sehr gut: Probleme sind auf den Kopf gestellte Ziele. Gerade wir Deutschen denken sehr problemorientiert. Wir kreisen so lange um das Problem, bis wir es vollkommen ausgeleuchtet haben. (Deshalb sind wir so gute Maschinenbauer, denn hier ist es von Vorteil, mechanische Perfektion anzustreben.) Allgemein ist es besser, lösungsorientiert zu denken und zu handeln. Oder anders formuliert: auf das Ziel ausgerichtet.

Ein Ziel entsteht für mich aus einer Vision, wenn ich diese auf Realisierbarkeit überprüft, eine Strategie entwickelt und eine konkrete Handlung geplant habe. Natürlich sollte ein Ziel wohlformuliert sein, damit überhaupt die Chance besteht, dass ich es erreiche. Und letztlich haben die meisten Ziele etwas Wichtiges gemeinsam: Wir erreichen sie selten zu 100 %. Und das ist nicht einmal schlimm.

Hier könnte nun zur Erklärung der beruhigende bis einschläfernde Spruch stehen:

Der Weg ist das Ziel.

Formulieren wir business-gerecht:

„Das Umsetzen der geplanten Strategie hat Vorrang.“

Nein, das ist zu zweideutig, auch wenn es meiner Erfahrung nach in vielen Firmen so gehandhabt wird.

Wann werden Träume Realität?


Wirklich klug handelt derjenige, der seine Pläne der Realität anpasst. Denn diese ändert sich permanent. Und so weiß der Erfahrene, der ehrlich zu sich selbst ist, dass es nicht darauf ankommt, die ursprünglichen Ziele 1:1 zu erreichen, dass man dies genau genommen selten überhaupt schaffen kann. Vielmehr sucht der Weise das Lebensgefühl zu erreichen, das er haben will. Und seien Sie sicher: Auch der knochentrockene Unternehmenspatriarch hat Gefühle und sucht möglichst oft, gute zu empfinden. Er weiß es nur vielleicht noch nicht.

Wann ist es nun so weit? Wann wird der Traum real?

In reiner Form extrem selten. Oft stricken wir im Nachhinein nur an der Mär, wir hätten alles schon immer exakt so geplant, wie wir es erreicht haben. Die kleine Schönfärberei hält unser inneres Weltbild aufrecht, nach welchem wir Sicherheit empfinden und Kontrolle haben.

Unser Traum ist genau dann real geworden, wenn sein Kern es ist. Wenn wir das Lebensgefühl, welches wir früher vermissten, hergestellt haben. Sei es das Bedürfnis nach Freiheit, nach Sicherheit, nach Zugehörigkeit, nach Sexualität oder nach Anerkennung. Der Kern unseres Traums, also das ehemals unerfüllte Bedürfnis, das den Traum aktivierte, kann auf dem Weg zum Ziel schon erfüllt worden sein. Vielleicht haben sich die Bedingungen geändert; vielleicht benötigte ich gar nicht so viel Zielerreichung, wie ich dachte und plante. Vielleicht hatte ich mich vollends verschätzt und konnte durch mein Ziel das eigentlich gewünschte Lebensgefühl nicht herstellen.

Letztlich sind demnach weder der Weg das Ziel noch das Ziel selbst. Vielmehr strebe ich die Befriedigung meiner Bedürfnisse, die hinter dem Ziel stecken, an. Oder ich versuche zu lernen, wie ich meinem gewünschten Lebensgefühl näher komme. Ich sammle demnach Erkenntnisse.

Zum gewünschten Lebensgefühl gelange ich, indem ich an meinem „Traumkern“ festhalte, ich daran glaube, ihn verwirklichen zu können. Ich muss beginnen zu handeln. Und mich weiterhin durch Disziplin, Fleiß und Arbeit auszeichnen und durch einen fortbestehenden Glauben an meinen Traum, mein Lebensgefühl, an die Erfüllung meiner Bedürfnisse.

Dass ich mich letztlich sogar von meinen Bedürfnissen lösen und eine existenzielle Gelassenheit und Erkenntnis entwickeln kann, ist für mich beruhigend. Nach dem Stillen der meisten Bedürfnisse kann es demnach weitergehen. Doch dies ist womöglich kein Thema für einen Businesskontext, vielmehr für das Feld, das hinter unser aller Business liegt. Und auch diese ist weit, überraschend und spannend.

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