Hast du Konflikte? Nein?
Und in deiner Firma/Abteilung/Organisation/Familie, in deinem Freundes- und Bekanntenkreis gibt es auch keine Konflikte? Oder haben immer nur die anderen Konflikte und niemals du selbst?
Ich behaupte, dass du deine Konflikte einfach nicht wahrhaben willst! Oder nicht kannst.
Doch sie sind da.
Und sie lauern.
Und eines Tages brechen sie aus. Sie eskalieren. Verursachen Schmerzen.
Und du wirst dir wünschen, sie eher erkannt zu haben.
Und natürlich sind die anderen schuld! Die Bösen.
Kennst du das? Erkennst du dich wieder? Dann solltest du weiterlesen!
Konflikte entstehen, wenn Bedürfnisse, Werte oder Weltbilder aufeinander prallen. Merkmal eines Konflikts ist es, dass er eskalieren kann.
Ja nach Definition spricht man also schon von einem Konflikt, auch wenn er noch nicht offen ausgebrochen ist.
Du kurvst mit deinem Auto in der Innenstadt und suchst einen Parkplatz. Endlich siehst du einen. Du fährst daran vorbei, willst rückwärts einparken. Du setzt den Blinker, legst den Rückwärtsgang ein.
Und dann passiert es: Du drehst dich gerade um, da schnippelt ein Smart in die Lücke. Parkplatz frech geklaut. Was passiert jetzt mit dir?
Vermutlich wirst du wütend.
„Was für eine Unverschämtheit!“, denkst oder rufst du. Dein Puls beschleunigt sich.
Wie stark deine Wut ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab:
Und warum wirst du wütend?
Klar, weil der andere Fahrer dir den Parkplatz weggeschnappt hat, obwohl du deiner Meinung nach das Anrecht darauf hattest.
Je nach Wutgrad und Temperament steigst du eventuell aus und beginnst eine Diskussion mit dem anderen. Ihr Ausgang hängt wiederum von verschiedenen Faktoren ab.
Hast du drei sehr männliche Freunde dabei, die theatralisch absolut gleichzeitig mit dir die Wagentür öffnen und aussteigen, könnte es sein, dass sich der Parkplatzdieb schnell aus dem Staub macht.
Siehst du aus wie Dwayne Johnson, brauchst du keine Freunde für einen überzeugenden Auftritt.
Vor allen Dingen hängt es davon ab, wie wichtig der Parkplatz dir und dem anderen jeweils ist. Und wie sehr ihr beide schon in Rage seid.
Auf jeden Fall habt ihr einen Konflikt. Denn ihr wollt beide das Gleiche und jeder sieht sich im Recht.
Schauen wir uns einmal die möglichen hinter dem Konflikt liegenden Ursachen genauer an:
Hinter dem oberflächlichen Bedürfnis, den Parkplatz zu bekommen, steckt das Bedürfnis, Herr über seine Zeit zu sein. Das wiederum kann man zum Grundbedürfnis, unabhängig sein zu wollen, zählen.
Nun habt ihr beide die gleiche Strategie, wie ihr euer Bedürfnis befriedigt. Ihr wollt die gleiche Parklücke. Hier prallen Strategien bzw. konkrete Ziele aufeinander.
Für dich ist es wichtig, dass die Menschen verbindlich sind und sich an Regeln halten. Zumindest in dem Fall, dass du blinkst, um rückwärts in den Parkplatz einzuscheren.
Dem anderen ist dieser Wert vielleicht nicht so wichtig. Er mag es unkonventionell. Oder er folgt einem anderen Wert, der im Moment noch wichtiger ist, als regelkonformes Verhalten.
Du bist dir sicher, dass du den Parkplatz zuerst gesehen hast und er somit dir gehört. Vielleicht hat der andere das anders wahrgenommen?
Oft mischen sich die einzelnen Grundbedürfnisse, Werte und Weltbilder zu einem großen Zusammenprall. Und dann knallt es.
Wie endet der Parkplatzkonflikt?
Es sind verschiedene Szenarien denkbar.
1. Möglichkeit: Du gibst nach und der andere bekommt den Parkplatz. Oder anders herum.
2. Möglichkeit: Du steigst nicht aus, weil du weder Freunde (dabei) hast, und der andere im Gegensatz zu dir wie Dwayne Johnson aussieht. (Wobei meine natürliche Reaktion beim Anblick eines tätowierten Muskelbergs im Smart zunächst heiteres später frustriert-hysterisches Gelächter wäre.)
Wenn du schon extrem in Rage bist, könntest du deinen Plan durchziehen und rückwärts einparken. Du rammst den Smart und schaust, was passiert. Vermutlich hat nun keiner den Parkplatz. Vielmehr dürft ihr eure Autos anschließend länger in Werkstätten parken und eventuell eure Hintern in Gerichtssälen.
3. Möglichkeit: Du steigst aus, ihr diskutiert zivilisiert. Du kannst deine Wut kontrollieren. Du hältst deine Emotionen im Zaum.
Der andere erklärt dir seine Situation. Seine Frau sei hochschwanger und müsse aus der Innenstadt abgeholt werden, weil sie plötzliche Unterleibsschmerzen habe. Er benötige den Parkplatz nur 10 Minuten. Du könntest so lange mit Warnblinker warten und den Platz danach haben.
Du lässt dich darauf ein, bekommst nicht sofort, was du wolltest. Aber beinahe. Außerdem hast du Mitleid gehabt und zugunsten von Bedürftigeren verzichtet. Dadurch hast du ein gutes Gefühl.
4. Möglichkeit: Du hast so viel Mitleid mit dem Mann und seiner Frau, dass du dich spontan entscheidest, den beiden zu helfen.
„Hören Sie“, sagst du, „ich helfe Ihnen, Ihre Frau hierher zu begleiten. Und ich fahre Sie beide ins Krankenhaus. Mein Wagen ist größer als Ihrer, da sitzt Ihre Frau bequemer.“
Gesagt, getan. Du hast deine Planung über den Haufen geworfen, wildfremden Menschen geholfen, vielleicht den Grundstein für eine Freundschaft gelegt. Wie wirst du dich mit der letzten Lösung fühlen?
Mal unabhängig vom Ausgang des Konflikts sei noch die Frage gestellt, ab wann der Konflikt mit dem anderen Autofahrer bestand.
Prinzipiell ab dem Zeitpunkt, da ihr beide in der gleichen Gegend einen Parkplatz gesucht habt. Und da ihr nicht die einzigen seid, habt ihr gleichzeitig einen Konflikt mit den vielen anderen Fahrern, die alle auf die glorreiche Idee kamen, mit dem Auto in die Innenstadt zu fahren.
Du siehst, Konflikte bestehen oft unbemerkt. Auch wenn sie nicht offen ausbrechen oder eskalieren.
Und genau wie bei den Parkplatzsuchenden ist es im Leben so, dass es für beinahe jeden Konflikt Optimallösungen gibt. Voraussetzung, diese zu finden, ist, dass die Beteiligten ihre Emotionen unter Kontrolle halten.
Wähnst du dich in deinem Leben vollkommen konfliktfrei, dann könnte ich dir entweder glauben und dir gratulieren. Dann wäre allerdings Voraussetzung, dass du beispielsweise im buddhistischen Sinne erleuchtet bist. Und bei den allerwenigsten kann ich das annehmen.
Demnach kannst oder willst du deine Konflikte und vielleicht auch die deiner Mitmenschen nicht sehen. Im letzteren Fall ist das dramatisch, wenn du Chef bist. In der Position bist du gleichzeitig Konfliktvermittler für deine Leute.
Wenn du nicht sensibel genug für deine Konflikte und Konfliktpotenziale bist, solltest du das ändern! In gewisser Weise mangelt es dir an Einfühlungsvermögen. Du bist womöglich die ersten Schritte in Richtung eines Soziopathen gegangen. Der kommt mit seinen Mitmenschen nicht klar.
Etwas anderes ist es, wenn du Konflikte wahrnimmst, sie aber zum Teil als nicht relevant erachtest. Das ist okay, solange du kein Chef bist und das nicht bei allen Konflikten deiner Mitarbeiter so machst.
Wenn du nun merkst, dass du Konflikte nicht sehen kannst, so solltest du deine Sensibilität, deine Empathie, schulen. Die gute Nachricht ist: das geht!
Beispielsweise könnte in dir ein ungünstiger Glaubenssatz verankert sein. Den kannst du anpacken durch Selbstreflektion oder besser ein Coaching.
Ein hervorragendes Werkzeug – auch fürs Selbstcoaching – ist das Werte- und Entwicklungsquadrat, wie es Friedemann Schulz von Thun beispielsweise auch in seinem Buch „Miteinander reden: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte“ beschreibt.
Konflikte nicht sehen zu können, könnte etwas damit zu tun haben, dass du im dich innerhalb des Werte- und Entwicklungsquadrats im rechten (neurotischen) „Keller“ befindest:
Die meisten Menschen, die sich in einem der beiden unteren Felder befinden, entwickeln sich nicht nach oben, weil sie glauben, sie würden dann im anderen „Kellerfeld“ landen.
Dies ist jedoch ein unbewusster Irrtum. Wenn der Mensch sich entwickelt, folgt er dem Werte- und Entwicklungsquadrat immer entlang der schwarzen Linien. Er nimmt fast nie die rote Linie.
Dieses Werkzeug kannst du für die Selbstreflektion gut nutzen. Noch besser ist es, du konsultierst einen ausgebildeten Coach.
Eine andere Sache ist es, wenn du die Konflikte wahrnimmst aber nie anpackst. Dann bist du wahrscheinlich feige.
Das Ergebnis ist das Gleiche wie beim Soziopathen: Du machst nichts. Du löst keinen Konflikt. Du verdrängst, dass du welche hast. Du ignorierst sie bei deinen Mitmenschen.
Doch Konflikte haben meist die nervige Eigenschaft, sich nicht von allein zu lösen. Vielmehr schwelen sie. Wachsen unter der Oberfläche. Brodeln.
Irgendwann suchen sie sich ein Ventil – dann gibt es Ersatzkämpfe. Oder sie explodieren. Dann fliegt dir alles um die Ohren.
Natürlich gibt es auch noch die dritte Möglichkeit, dass du die Konflikte unter dem Deckel hältst. Nur steigt so wie bei einem Schnellkochtopf der Druck immer mehr an. Es wird immer heißer. Und du musst immer mehr Ressourcen darauf verwenden, Druck und Hitze standzuhalten.
Viel schlauer ist es, diese Energien in kreative und produktive Bahnen zu lenken.
Verdrängung ist nur manchmal bei traumatischen Erlebnissen eine zeitweilige Lösung. Doch das Verdrängte holt dich in den meisten Fällen gnadenlos ein. Und dann sind die Kosten der Be- und Verarbeitung ungleich höher, als hättest du beispielsweise den Konflikt frühzeitig angepackt.
Das Wort „richtig“ ist in dem Zusammenhang womöglich nicht passend. Denn dann müsste es auch ein „falsch“ geben.
Ich spreche hier lieber von günstig oder ungünstig in Hinblick auf deine Ziele und deine Zufriedenheit. Wobei man leider oft erst im Nachhinein beurteilen kann, wie sich das Verhalten ausgewirkt hat.
Es geht demnach nicht darum, ob du Konflikte hast oder nicht. Verlass dich drauf – du hast welche!
Es geht letztlich nur darum, wie erwachsen du deine Konflikte austrägst.
Und so gebe ich dir zum Schluss eine klare Handlungsempfehlung für dein Konfliktverhalten.
Ich wünsche dir gutes Gelingen bei deinen Konflikten.
Jeder Mensch hat Konflikte. Die Ursachen dafür sind aufeinander prallende Bedürfnisse (bzw. Strategien zur Befriedigung), Werte oder Weltbilder. Konflikte müssen nicht ausbrechen. Und sie können eskalieren.
Die beste Konfliktlösung ist die Kooperation. Die zweitbeste der Kompromiss.
Wenn du Konflikte nicht siehst oder verdrängst, werden sie dir früher oder später um die Ohren fliegen. Packe sie frühzeitig an, am besten, wenn noch keine Emotionen im Spiel sind!
Welche Erfahrungen hast du mit nicht entdeckten oder verdrängten Konflikten gemacht?
Was denkst du?